Der ungläubige Mann

06 Leseproben

Der ungläubige Mann

Es war einmal ein Mann, der glaubte nicht. Als er heiratete, konnte er sein Glück kaum fassen. Als seine vier Kinder geboren wurden, mochte er es schier nicht glauben. Das meiste, was er im Wirtshaus hörte, glaubte er aus Prinzip nicht. Und als er in seinem Acker doppelt so viele Steine fand wie sein Nachbar auf seinem Acker gefunden hatte, da rief er es hinauf, dass es mit dem Glauben sowieso eine unnütze Sache sei, weil es einen guten und gerechten Gott nicht gebe. Am Abend nahm er den schwersten der Steine, die er gefunden hatte, mit nach Hause. Aber ach!, mit jedem Schritt wurde der Stein schwerer, und am Ende konnte er ihn kaum mehr tragen. Doch auch das glaubte er nicht, wahrscheinlich war er einfach übermüdet und der Stein kam ihm deshalb so schwer vor. Zuhause angekommen, legte er den Stein ins Beet vors Küchenfenster und sagte zu ihm: „Du wirst sehen, ich habe doch Recht. Gott gibt es nicht, und wer an Gott glaubt, möchte sein Schicksal nicht in die eigenen Hände nehmen. Ich aber habe dich eigenhändig hierher getragen, als Beweis, dass die Dinge sind, wie sie sind, und nicht, wie wir glauben, dass sie sind.“ Er spuckte kräftig aus, dann ging er hinein zu seiner Frau und seinen Kindern, um sich mit einer schönen Suppe zu wärmen und zu stärken. „Und, was ist dir heute begegnet?“, fragte seine Frau. „Steine“, erwiderte der Mann zwischen zwei Bissen Brot. „Soso“, sagte seine Frau, ohne recht zu verstehen. Als sie aber am nächsten Morgen in die Küche trat, entschlüpfte ihrem Mund ein Schrei. Ihr Mann kam hinzu, und tatsächlich, es war nicht zu leugnen: Da, vor dem Küchenfenster, stand ein riesiger Fels. „Wie… wie ist denn der dahin gekommen?“, fragte sie, doch er kratzte sich am Kopf und sagte nichts. Im Dunkeln, als er vermeintlich von niemandem gesehen wurde, umrundete er den Fels dreimal, konnte jedoch nichts Außergewöhnliches feststellen. „Du willst mich wohl herausfordern?“, rief er mit nach oben gereckter Faust. „Nun, das wird dir nicht gelingen! Mein Unglaube ist stärker als du!“ Und damit ging er ins Haus, um zu essen. Doch wie staunten die Kinder, als sie am nächsten Tag eine Katze im Fels zu erkennen glaubten. Eindeutig war diese am Vortag noch nicht dagewesen. „Bring den Stein zurück. Am Ende bringt er uns noch Unglück!“, sagte die Frau. „Wie denn?“, fragte ihr Mann. „Vielleicht bringt er uns ja auch Glück!“, sagten die Kinder, „schaut doch mal, die schöne Katze!“ Der Mann sah finster drein. Dann, am Abend, als er dachte, von niemandem gesehen zu werden, umrundete er den Fels drei Mal. „Falls du glaubst, du kannst mich zum Besten halten, nun, das wird dir nicht gelingen“, sagte er, die Faust gen Himmel gereckt. „Vielleicht machst du morgen eine Fratze aus Stein, die aussieht wie meine?!“ Er ging ins Haus, um zu essen. Am nächsten Tag war der Fels eine Fratze, und der Mann hat sich nicht gerade gefreut, dass er angeblich so aussah. In der Zwischenzeit aber hatten die Nachbarn mitbekommen, was vor sich ging, und glaubten, er habe gut verborgene Zauberkräfte. Sie kamen zu ihm mit Wehwehchen und schwierigen Fragen, mit Streit und mit ihren kranken Kindern. Anfangs schickte der Mann sie weg, denn er glaubte nicht an Zauberkräfte und nicht daran, dass er ihnen helfen könne. Doch dann schritt seine Frau ein. Die Menschen aus dem Dorf seien bereit, viel Geld zu zahlen, nur damit er sie anhörte und ihnen riet oder die Hand auflegte. Da sei mehr Geld zu verdienen als mit dem mageren, steinigen Acker. Der Mann hatte schließlich ein Einsehen und begann, seine Nachbarn und die Menschen aus dem Dorf zu empfangen. Er hörte zu, sagte, was ihm spontan in den Sinn kam, legte seine Hände auf. Und stets erfüllte es sich und wandte sich zum Guten. Der Mann aber wusste, nicht er selbst heilte. Er heilte durch Gott. Der Wunderfels vor dem Küchenfenster ist mit dieser Erkenntnis wieder zum handlichen Stein geworden. Den brachte der Mann zurück auf den Acker, denn manche Dinge muss man einfach so nehmen, wie sie sind, und so lassen, wie sie sind. Und wenn es der Stein vom eigenen Acker ist.

09 Kontakt

Kontakt

Die Geschichtenwerkstatt – eine für Sie passende Geschichte! Ich freue mich auf Ihre Anfrage.

Geschichtenwerkstatt
Miriam Jaeneke
miriam@geschichtenwerkstatt.at
0681-840 30 669

Scrollen